„Wir konzentrieren uns ausschließlich auf die Ballungsräume in der Kernzielgruppe 20 bis 28 Jahre, maximal 35 Jahre“. In dieser Art werden von zahlreichen Startup-Unternehmen die Gebiets- und Zielgruppendefinitionen für Werbemassnahmen beschrieben. Dabei verlieren sie informationsinteressierte und kaufkräftige Zielgruppen völlig aus dem Blick.
Über die Ostertage habe ich die Familie besucht. Sie wohnen in kleinen Orten und Dörfern entlang des Teutoburger Waldes. Das Interesse an meiner Arbeit ist dort groß. Besonders bei Nachbarn und Bekannten, deren einzige Kontakte zur Welt der Medien in deren Nutzung besteht. Von zahlreichen Produkten und Dienstleistungen haben sie noch nie gehört. Denn von der Werbung vieler Angebote sind sie ausgeschlossen. „Schick mir mal den Link“ oder „schreib mir mal auf, wie das heißt“ höre ich dort sehr häufig. Und nicht selten erreicht mich später das Feedback: „Ich habe das mal bestellt. Das ist ja echt toll!“ oder „Wir haben uns jetzt da registriert. Super, dass es so etwas gibt!“.
Doch auch in den Ballungsräumen wird durch Ausschluss relevanter Zielgruppen auf gewichtigen Profit verzichtet. Der Hersteller eines E-Motorrollers richtete sich ausschließlich an die Altersgruppe der 22 bis 28 jährigen. Der Kaufpreis des E-Rollers liegt zwischen 1.600 und 3.000 Euro. Aus unserer Sicht für die definierte Zielgruppe zu teuer. Denn die Generation Y setzt eher auf Sharing-Angebote, als auf den Besitz kostspieliger Fortbewegungsmittel. Dennoch bekamen wir den Etat für zwei Radio-Fights. Verbunden mit der Einschränkung, diese auf zwei Ballungsräume zu konzentrieren. Das Resultat war eindeutig – die E-Roller gingen weg wie Freibier. Auf Kundenseite schlug uns dennoch ein regelrecht beleidigtes Echo entgegen. Aus einem sehr infantilen Grund: Die Käufer waren durchweg 50+. Damit passten sie nicht mehr in den Businessplan.
Kaufkräftige Zielgruppen werden einfach ausgeblendet
In zahlreichen Startups wird ein gewaltiger Fehler gemacht. Der Blick ist nach innen und auf ihresgleichen gerichtet. Die Generation ihrer Eltern und die in den Provinzen verbliebenen Altersgenossen blenden viele junge Gründer kategorisch aus. Die Anlässe dafür sind vielschichtig. Aus ihrer Sicht findet Leben nur noch dort statt, wo sie selbst sich aufhalten. Kommunikation erfolgt aus ihrer Sicht ausschließlich in Medien, die sie selbst nutzen. Wer auf dem Land bleibt, ist raus. Aus allem.
Doch weit gefehlt. Besonders in den ländlichen Regionen unserer Republik werden Medien selektiert und mit viel Aufmerksamkeit wahrgenommen. Die Tatsache, dass in kleineren Städten und Dörfern das Angebot der Waren und Dienstleistungen eingeschränkt ist, ermöglicht Ungeahntes. Besonders für Sartups. Denn deren Produkte schaffen es häufig nicht bis in die Regale des Kleinstadt-Einzelhandels. Und oft wird diese Form des Vertriebs gar nicht gewünscht, da sie zu kostspielig ist. Als kostspielig werden jedoch auch flächendeckende Werbekampagnen betrachtet. Ein Grund dafür ist die digitale Herkunft der Gründer. Sie selbst haben über Jahre hinweg Youtube, Instagram, Facebook oder WhatsApp genutzt. Daraus resultiert die Einschätzung, dass Follower und Likes kostenlos sind und lediglich die eigene Manpower beanspruchen. Später erwacht häufig die Erkenntnis, dass Umsatz ohne klassische Werbemassnahmen nicht in ausreichendem Umfang generiert wird. Der Blick wird dann auf das Haifischbecken gerichtet, in dem es vor hungrigen Mäulern nur so zu wimmeln scheint – die Großstadt.
In der Provinz wohnt die Kaufkraft
Eine weitere Eigenschaft zahreicher Startups ist es jedoch, dass sie ebenfalls in diesem Haifischbecken schwimmen. Und so konkurrieren auf verdichteter Fläche zahlreiche kluge und neue Ideen um die Aufmerksamkeit einer sehr dünn definierten Zielgruppe. Zwar erzielen die Medien in Großstädten plus Speckgürtel recht große Reichweiten. Jedoch schaffen die massenhaft verfügbaren Produkte und Services bei den eng selektierten Zielgruppen eine gewisse Trägheit. Oder auch Übersättigung.
Nachvollziehbar sind die Beweggründe der Startups, die Werbung auf die Oberzentren zu konzentrieren. Die Werbeetats sind gering und man will so viele Köpfe wie möglich damit erreichen. Conversion und Nachhaltigkeit sind auf dem Land jedoch sicherer. Ein koffeinhaltiger Drink beispielsweise, würde auf dem Land schnell dankbare Abnehmer finden. Zahlreiche Industriebetriebe in ländlichen Regionen arbeiten im Schichtbetrieb. Wem dort nächtelang volle Aufmerksamkeit abverlangt wird, dem ist ein wirksamer Wachmacher willkommen. Wer auf dem Land lebt, hat häufig längere Arbeitswege zurück zu legen. Müssen dann noch Kinder eingesammelt und Einkäufe erledigt werden, könnte eine fertig zusammengestellte und per Lieferdienst zugestellte Kochbox mit offenen Armen empfangen werden. Bettwäsche am Ort kaufen? Nicht selten haben diese Geschäfte schon vor Jahren ihre Pforten geschlossen. Ein Kauf per Klick funktioniert auch bei der Landbevölkerung.
Meine eingangs erwähnte Familie besteht aus Kindern, Teens und deren Eltern, sowie einer nicht unerheblichen Anzahl Senioren. Allesamt verfügen über gut funktionierende digitale Anbindungen. Selbst meine 78 jährige Mutter organisiert ihre Flüge, Hotelbuchungen und Ausflugspakete via Web.
Da draußen warten Millionen Kunden auf Euch!
Laut einer Analyse von Trusted Shops werden 60% der E-Commerce-Umsätze von der Landbevölkerung getätigt. Warum also wenden Startups den Blick nicht einmal über den Rand des Haifischbeckens hinaus? Da draußen sitzen die Kaufinteressenten. Und sie verfügen nicht selten über wesentlich bessere persönliche Kaufkraft, als die Stadtbevölkerung. Über Nachhaltigkeit und Kundentreue muss man sich dort keine Sorgen machen. Wer einmal zuverlässig beliefert wurde, der bleibt!